Das Gras des Grauens

Zur 117. US Open in Erin Hills…

Gute Golfplätze brauchen Geschichten, wenn sie große Kurse werden sollen, Anekdoten, Begebenheiten. Erst recht, wenn sie vor lauter Jugend noch keine Historie haben, die Mythen produziert und Legenden bildet. So wie Erin Hills. Die Story des Schauplatzes der 117. US Open nährt sich aus der Geschichte von Steve Trattner und Robert Lang. Trattner, einer wie du und ich, dessen Tagträume im Büroalltag als Programmierer um die ultimative Spielwiese kreisen, erkannte den „Genius Loci“ der vormaligen Rinderfarm. Lang, der es mit Kalendern und Grußkarten zu Wohlstand gebracht hatte und seinen Mitarbeitern – wiewohl selbst kein Golfer – immer schon einen 9-Loch-Parcours bauen wollte, machte daraus eine Major-Bühne. Mitten im Niemandsland von Wisconsin. Beide Männer erfüllten sich einen Traum, das Happy End freilich blieb ihnen versagt.

Irgendwo in Wisconsin: Erin Hills, unbekanntes Terrain als Schauplatz der 117. US Open.

Der Stoff, aus dem diese Träume waren, entstand vor „Äonen“, wie die US-Kollegen gern schreiben. Tatsächlich ists bloß 20.000 Jahre her, dass ein Gletscher durchs Land zog und bei seiner Auflösung eine sogenannte Kesselmoräne zurück ließ: Ein Auf und Ab aus Sand und Geröll, das sich am Rand des 4.525-Seelen-Kaffs Erin erstreckt wie ein zerwühltes Bettlaken nach einer Nacht voller intensiver Golfträume.

Golfplatz-Rohling im Nirgendwo

Mike Davis von der USGA jedenfalls fiel 2004 beim Anblick des Golfplatz-Rohlings die Kinnlade herunter. Trattner hatte Lang für das Projekt begeistert, der heuerte die Golfarchitekten Michael J. Hurdzan, Dana Fry und Ron Whitten an, sie entwarfen ein erstes Layout und versuchten Davis ins Nirgendwo zu locken. Der zierte sich lange, als er dann tatsächlich seinen Besuch ankündigte, mähte Bob Lang eilends provisorische Fairways aus, während das Designer-Trio Abschläge und Grüns markierte.


Was sonst noch bei der 117. US Open passiert und wichtig ist, findet sich hier:

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Der USGA-Mann, damals schon für die US Open verantwortlich und heute operativer Boss des US-Golfverbands, war restlos begeistert. „Bei der Begehung dachte ich nicht nur daran, wie sich der künftige Platz für die weltbesten Golfer spielen würde“, erinnert sich Davis: „Ich sah überdies Parkplätze, Raum für Infrastruktur und Zuschauerwege.“

Die Architekten: Dana Fry, Michael J. Hurdzan und Ron Whitten schufen das Juwel Erin Hills.

Ein Kurs vom Reißbrett wurde aus dem „magischen Stück Land“ (Davis) dennoch nicht. Da war die Landschaft vor. Erin Hills ist ein minimalistisches, sehr urwüchsiges Design, wie es gerade wieder in Mode kommt, auch hierzulande, bei den Kreationen von Architekt Christian Althaus auf Föhr und fürs Hofgut Georgenthal beispielsweise.

In Wisconsin schöpften die Platzplaner aus einem reichen Fundus an potenziellen Golfbahnen zwischen Buckeln und Quasi-Dünen, von der Natur in die Gegend gegossen. Sie mussten es bloß auf sinnvolle Art und Weise kombinieren und golferisch „aufmotzen“, sprich Bunker ausheben und Golfrasen einsäen. Festuca übrigens, jenes nachhaltige, weil in puncto Wasser und Düngung so genügsame Schwingelgras.

Es gibt Leute, die jetzt an einen Linkskurs denken, womöglich von einem Inland-Links sprechen, wegen der fehlenden offenen See, was für eine absurde, in sich widersprüchliche Wortschöpfung. Aber, zugegeben, Erin Hills sieht auch in jeder Ecke einem Linkskurs täuschend ähnlich. Nur die offene See fehlt halt, eine unabdingbare Zutat für diese Definition. „Heidelandplatz“, nennt Architekt Hurdzan sein Juwel.

Sechster öffentlicher Platz der US-Open-Historie

Die Eckdaten sind schnell genannt: ein öffentlicher, reiner Fußgänger-Platz, der sechste im Reigen aller US-Open-Kurse und erstmals seit Pebble Beach 2010 wieder ein Par 72. Das Greenfee kostet 280 Dollar. Den Zuschlag gab‘s 2010, damit ist Erin Hills der jüngste US-Open-Schauplatz – und der längste. 7.048 Meter, rund zwölf Meter mehr als Chambers Bay 2015, den selbst die European Tour damals einen „authentischen Links auf Anabolika“ nannte, aber längst nicht ausgereizt. 7.633 Meter sind drin, die USGA wird das Layout indes nicht komplett einsetzen, die Distanzen einiger Löcher jedoch von Tag zu Tag variieren.

Nackte Zahlen, nüchternen Fakten, graue Theorie, die der Realität nicht gerecht werden. „Entscheidend is auf‘m Platz“: Erin Hills wogt. Auf jedem Meter. Ebener Stand und flache Balllagen sind so schwierig zu finden wie die Nadel im Heuhaufen. Apropos: Das kniehohe Festuca-Gemisch entlang der Fairways ist ein Ballschlucker, „so dicht, dass die Spieler ihre Caddies darin verlieren werden“, unkte Graeme McDowell. Prompt avancierte der arme Schwingel, der doch bloß wachsen, gedeihen und blühen will und dafür die Sonne und den Regen der vergangenen Wochen in Wisconsin dankend annahm, zum Gras des Grauens.

Teuflische Bunker

Schläge aus dem Rough sind echte Belastungsproben für Mensch und Material. Der Wind pfeift oft mächtig und ungehindert, nur ein knappes Dutzend alter Eichen verteilt sich im Gelände. Es gibt 14 blinde Schläge, die Fairways sind knubbelig, die Grüns ebenso puristisch wie makellos. All das zehrt an der Kondition. Wenigstens wird dieses US Open keine solche altbackene und ausgedörrte Angelegenheit wie Chambers Bay 2015, um diese Jahreszeit regnet es zu oft in Wisconsin. Dafür sind die Bunker schlichtweg teuflisch.

Belastungsprobe: Erin Hills ist struppig, knubbelig, ein 7.000 Meter langes, anstrengendes Auf und Ab.

Rund 100 zusätzliche Sandhindernisse, die niemand wollte, kratzte Robert Lang höchstpersönlich noch aus den Wellen in und entlang der Fairways, obwohl die USGA den Platz längst akzeptiert hatte. Aus seiner Passion war Besessenheit geworden. Er lieh sich Geld, erwarb zusätzliche Flächen, die niemand brauchte, um sein „Reich“ weitläufiger zu gestalten, kaufte sogar Häuser auf umliegenden Hügelkuppen und ließ sie zugunsten eines unverbauten Ausblicks abreißen.

Initiatoren im Abseits und im Gefängnis

300.000 Dollar hätten beispielsweise die vom Verband angeregten Modifikationen fürs Set-up hinsichtlich großer Turniere gekostet, Langs Obsession für zusätzliche Erschwernisse kostete ihn das achtfache. Und letztlich Erin Hills. 2009 überschrieb er „sein Baby“ für 10,5 Millionen Dollar dem Finanzmakler Andy Ziegler aus dem rund 56 Kilometer entfernten Milwaukee. Der ließ die Bausünden umgehend bereinigen, schon für die US Amateur Championship 2011 – mit einem gerade 18 gewordenen Jordan Spieth übrigens –, während Lang seither zuhause sitzt, in Erinnerungen schwelgt, Kurzgeschichten schreibt und abseits steht, wenn sein Traum wahr wird. Dennoch will der 72-Jährige die US Open „um keinen Preis der Welt verpassen“.

Steve Trattner (55), ehemaliger Programmierer und designierter Clubmanager, freilich kann nicht kommen. Der eigentliche Initiator von Erin Hills verbüßt eine 35-jährige Haftstrafe, er hat seine Ehefrau Sin Lam, die Mutter von zwei gemeinsamen Kindern, im Januar 2006 bei einem Trennungsstreit erdrosselt.

 

 

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Wentworth: Das Wimbledon des Golfsports

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Private Enklave im Londoner Speckgürtel

Der Wentworth Club, wo jetzt wieder die PGA Championship steigt, ist eine private Enklave im südwestlichen Speckgürtel von London. Man lebt in den Wentworth Estates, im sportlichen Angebot sind neben Golf auf drei 18-Loch-Parcours und einem 9-Loch-Kurzplatz auch Tennis, Schwimmen und Fitness/Spa. Postalisch gehört alles zu Virginia Water, der ersten Gemeinde außerhalb Londons mit durchschnittlichen Haus-Preisen von über einer Million Pfund (ca. 1,3 Millionen Euro) . Von Wentworth aus dirigiert auch Keith Pelley als Geschäftsführer und mit Hilfe von rund 160 Mitarbeitern die Geschicke der European Tour. Es gab schon mit der Einführung des Race to Dubai immer mal Pläne, im Wüstenstaat ein neues Hauptquartier zu bauen, aber das scheiterte an den Kosten. Und wohl auch an der Verbundenheit mit Wentworth. Weiterlesen