Was vom (dritten) Tage übrig blieb …

Was vom dritten Tage beim Masters übrig blieb? Vor allem Geschmäckle in der Causa Tiger Woods. Die Regel-Extrawurst müffelt ziemlich, die Augustas Turnier-Komitee ihrem größten Zugpferd (neben der Veranstaltung selbst) gebraten haben. Woods, der Einschaltquoten im zweistelligen Promillebereich steigen lässt und dessen sportliche Genesung sogar an der New Yorker Börse ins Gewicht fällt, sei damit „der Guillotine entkommen“, schlagzeilt Golf Digest. Und Associated Press schreibt von einer „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Monopoly-Karte.

Die Causa Woods

Was genau geschah: Während der zweiten Masters-Runde trifft Tiger Woods an der Par-5-Fünfzehn mit seinem dritten Schlag den Fahnenstock. Der Ball prallt ab und verschwindet im Wasserhindernis vor dem Grün.

Woods muss mit Strafschlag einen neuen Ball spielen. Laut Regel 26-1 hat er dafür drei Möglichkeiten und entscheidet sich für die Variante, den Ball „so nahe wie möglich der Stelle“ zu spielen, „von der der ursprüngliche Ball zuletzt gespielt wurde“. Mit einer famosen Annäherung und einem Putt rettet der Weltranglisten-Erste das Bogey.

Kurz darauf trudelt der Hinweis eines TV-Zuschauers ein, der Ball sei mitnichten „as near as possible“, sondern in einigem Abstand vom Punkt des ursprünglichen Schlags gedroppt worden. Die Spielleitung, bestehend aus den Grünjacken des Augusta National Golf Clubs, der beim Masters in jeglicher Hinsicht ausschließlich das Sagen hat, schaut sich die Fernsehbilder an, kann oder will keinen Verstoß ausmachen und lässt die Sache auf sich beruhen.

Nach dem Ende seiner Runde erzählt Woods im Interview mit dem Sportsender ESPN unter anderem, dass er seinen Ball zwei Yards (1,82 Meter) hinter dem Divot gedroppt habe.

Diese Aussage des vierfachen Masters-Champions gibt dem Ganzen eine völlig andere Note. Denn Woods hat ganz offenkundig eine günstigere Stelle gewählt, statt ausschließlich den allernächsten Punkt anzuvisieren. Damit hat er den Drop an der falschen Stelle ausgeführt und anschließend gegen Regel 20-7 („Von falschem Ort spielen“) verstoßen. Folglich erzielte er an Loch 15 ein regelwidriges Ergebnis, weil er sich für das Vergehen nicht die vorgesehenen zwei Strafschläge notierte. Mit der abschließenden Unterschrift auf der Scorekarte wird das quasi zur „Urkundenfälschung“. In Regel 6-6.b, „Zählkarte unterschreiben und einreichen“, heißt es: „Strafe für Verstoß […]: Disqualifikation.“

Am Samstag Morgen erreicht der Wortlaut des Woods‘schen Interviews auch die nunmehr ausgeschlafenen Herrschaften vom Turnier-Komitee. Die „Plaudertasche“ wird zum Rapport bestellt.

Von hier an gilt die offizielle Sprachregelung: Woods hat wohl erklärt, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er nicht nah genug an der ursprünglichen Stelle war. Oder so. Die Spielleitung wiederum teilte offiziell mit: Ja, durch das Interview sei bestätigt, dass Woods weiter vom ursprünglichen Punkt entfernt als nötig gedroppt habe. Was eine Verletzung von Regel 26-1 et cetera, et cetera darstelle. Aber das Turnier-Komitee sehe unter Berufung auf Regel 33 von einer Disqualifikation ab und verhänge wegen des „Freispruchs“ vom Freitag Nachmittag im Nachgang lediglich zwei Strafschläge.

Blättert da jemand im Regelbuch? Die Causa Tiger Woods hat Geschmäckle. ©: Richard Carter | flickr/cc

Blättert da jemand im Regelbuch? Die Causa Tiger Woods hat Geschmäckle. ©: Richard Carter | flickr/cc

Regel 33? Die besagt unter Absatz sieben: „Eine Strafe der Disqualifikation darf in besonders gelagerten Einzelfällen aufgehoben, abgeändert oder verhängt werden, wenn es die Spielleitung für gerechtfertigt hält.“ Das gilt zum Beispiel für versäumte Startzeiten aus wichtigem Grund und seit einiger Zeit auch, wenn ein Spieler absolut unbewusst einen Regelverstoß begeht.

Letzteres ist schlichtweg den Fernsehübertragungen und der modernen, hochauflösenden Kameratechnik geschuldet. Denn Verstöße wie z. B. eine unabsichtliche Bewegung des Balls sind vom Spieler nicht immer wahrzunehmen, werden aber in Großaufnahme und Zeitlupe gnadenlos in die Wohnstuben übertragen. Wo nicht selten auf der Couch der selbsternannte Oberschiedsrichter darauf lauert, kleinste Verfehlungen zu petzen.

Genau vor solchen übertriebenen „Fernseh-Beweisen“ bei unbewussten Regelverstößen sollen die Aktiven demnach ein wenig geschützt werden. Padraig Harrington war der Auslöser, als er 2011 während der Abu Dhabi Championship seinen Ballmarker aufnahm und sich die Kugel dabei um einen Hauch bewegte. Seither heißt die Richtlinie auch „Harrington-Regel“. Den möglichen Handlungsspielraum definiert „33-7“.

Soweit die Fakten.

Tiger Woods hat gewiss nicht vor Millionen von TV-Zuschauern eine bewusste Manipulation, einen Betrug versucht. Das soll dem 14-fachen Major-Sieger zugute gehalten werden. Aber die Wasserhindernis-Regel kommt auf den Plätzen dieser Welt vermutlich an jedem Wochenende zigtausend Mal ins Spiel, gehört also nicht zu den Exoten der komplexen Golf-Gesetzgebung. Von einem Professional zumal darf erwartet werden, dass er wenigstens die wichtigsten Regeln aus dem Effeff beherrscht. Auch im Eifer des Gefechts, im mentalen Tunnel auf der Runde.

Erstaunlich ist, dass außer dem erwähnten TV-Zuschauer niemand den Fauxpas des Tigers erwähnenswert fand. Die Mitspieler nicht, die entlang der Fairways von Augusta National reichhaltig verteilten Offiziellen nicht. Auch Caddie Joe LaCava fuhr seinem Boss nicht in die Parade.

Nochmals: Mit Regel 33 und ihrem Ursprung sind Unkenntnis und Regelverstöße durch regelwidrige Aktionen nicht gedeckt. Lediglich unbewusste und kaum oder gar nicht wahrnehmbare Verfehlungen. Davon kann im Fall Woods freilich nicht die Rede sein. Er hat „so nah wie möglich“, gelinde gesagt, individuell interpretiert – wie nah muss überhaupt „so nah wie möglich“ sein? Auch wenn er später per Twitter ausrichtete: „Ich dachte, mein Drop wäre korrekt und entspräche den Regeln. Mir war nicht klar, dass ich damit irgendeine Regel verletze.“

Im Zweifel für den Angeklagten. Aber Unkenntnis oder Fixiertheit aufs Spiel schützen vor Strafe nicht. Vor welcher auch immer. Augustas Granden haben am Freitag weggeguckt und sich dann die „Harrington-Regel“ zurecht gebogen. Fernsehsender und Sponsoren atmen auf, denn wer will schon ein Masters-Wochenende ohne Zugpferd.

Das Geschmäckle bleibt.

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