Was vom zweiten Open-Tage übrig blieb …
Es gibt Leute, die wundern sich über den Zustand des Platzes. Manche wollen sogar Regen herbeireden, damit die Bälle auf dem Turf nicht so umeinander springen. Regen gehört ja angeblich beim britischen Klima zwingend dazu. Noch‘n Klischee. So eins wie Golf als Sport für Reiche, Alte oder Frischoperierte. Oder alles gleich in Einem.
Herrschaften, das ist Linksgolf! Im schottischen Sommer. Mitte Juli!
Noch weniger Niederschlag hat‘s im Bezirk Gullane nur zu Februar und von April bis Juni. Vergessen wir mal doppelreihige Fairway-Bewässerungen, Versenkregner und all den Schnickschnack, der „moderne“ Golfplätze zu den eigentlichen Anachronismen macht. Bloß, weil sich die Bahnen anfühlen sollen wie der Flokati daheim im Wohnzimmer. In Sattgrün bitte sehr!
Stattdessen werfen wir – um den Unterschied deutlich zu machen – mal einen Sisalteppich als Fairway auf den Estrich, längs und quer in ebenso willkürliche wie unnachgiebige Falten gezogen. Als Vergleich für‘s Grün kann das Parkett herhalten, wenn darin ein schlampiger Dielenleger allerlei Wellen und Neigungen hinterlassen hat. Mehr oder weniger sichtbar. Darauf soll dann der Ball zielgenau und dosiert laufen…
„Extrem anstrengend da draußen“
Voilà, Muirfield zur 142. Open Championship. Sonnengedörrt, holprig, durchgebacken, krustig, kaum kontrollierbar. Gerade nachmittags, wenn die Sonne auch den letzten Rest Feuchtigkeit aus dem Geläuf gebrannt hat, wird die spröde Schönheit zum kratzbürstigen Biest. Ernie Els, der Titelverteidiger, mochte die Vokabel „unspielbar“ nicht in den Mund nehmen und sprach von „grenzwertig“.
Martin Kaymer nannte es „extrem anstrengend da draussen“. Jeder Schlag, der nur ein bisschen schlechter als perfekt sei, „ist sofort richtig weit weg. Man muss sehr viel planen und nachdenken: Der Ball muss genau dort landen, wo du dir das vorstellst – anders hat man hier keine Chance, oben mitzuspielen.“ Vor allem die letzten Löcher seien, sagte der Deutsche, „so unglaublich hart.“ Dabei wehte der Wind vergleichsweise eher mäßig.
Gerade bei den Nachmittags-Startern fiel auf der Schluss-Strecke oftmals in sich zusammen, was sie zuvor mühsam aufgebaut hatten. Nicht nur, dass sie ihre Annäherungsschläge auf den Grüns kaum zum Halten brachten. Selbst Putts aus weniger als zwei Metern waren bei Stimpmeter-Werten, die teils sogar über dem Augusta-„Marmor“ lagen, kaum zu kalkulieren. Brandt Snedeker fand‘s rund um die Fahnen „zum Ausrutschen“ glatt. Lee Westwood, der zuvor sechs Birdies gespielt hatte, fing sich ab Bahn zwölf noch drei Bogeys ein. Angel Cabrera verlor drei Schläge zwischen Loch 14 und 18. Zach Johnson sogar vier, inklusive Doppel-Bogey an der 15.
Loch 15: Der Reißzahn des Unholds
Wenn Muirfield gen Abend zum Unhold mutiert, dann ist dieses 410 Meter lange Par-vier sein Reißzahn. Snedeker als unbestritten weltbester Putter benötigte aus sechs Metern vier Versuche. Ian Poulter schlug ein Sand Wedge, das mit 175 Metern gemessen wurde. Charl Schwartzel fabrizierte einen Drive, der nach 347 Metern im Bunker ausrollte. Billy Horschel puttete aus viereinhalb Metern und schob die Kugel dabei viereinhalb Meter übers Loch hinaus. Nicolas Colsaerts kassierte eine Neun, weil er sechs Putts brauchte, um den Ball zu „stopfen“.
In der zweiten Runde wurden an der 15 nur zehn Birdies gespielt, zumeist vormittags, aber zwölf Doppel-Bogeys und drei Scores „jenseits von Gut und Böse“. Gerade mal 34 Prozent der Spieler blieben mit ihren Annäherungsschlägen auf dem Grün, obwohl die meisten nicht mehr als ein Wedge in der Hand hatten.
Am Ende des Tages waren lediglich neun der insgesamt 153 Open-Kombattanten unter Par. Und Ernie Els hatte nur einen Wunsch. Wasser! Aber nicht für sich: Für den Platz, vor allem für Loch 15.
Sie wässern ja. Abends, über Nacht. Per Hand. Mit Schläuchen und Sprühköpfen vorn dran. Gerade genug, dass die Gräser nicht absterben. Und schneiden hernach die Grüns wieder auf vier Millimeter runter.
Es ist halt Linksgolf – man kann‘s nicht oft genug betonen. At its best. Golf, wie seine Gründerväter es definiert haben. Ein Open-Kurs, philosophiert Ron Sirak, Edelfeder beim US-Magazin GolfDigest, „zerpflückt dich, examiniert dich und findet heraus, aus welchem Holz du geschnitzt bist“. Die Bounces und Breaks, heißt es in seinem Zweitrunden-Fazit, „können Dich in den Wahnsinn treiben. Du musst extrem fokussiert und vor allem mental gewappnet sein. Alles ist ein Test für deine Geduld, deine Beharrlichkeit und deine Leidenschaft“. Oder wie Mark O‘Meara sagt: „So ist Linksgolf nun mal!“
Kaum besser als Harold Hilton vor 121 Jahren
Linksgolf ist auch, wenn hochspezialisierte Berufsathleten mit Pilates- und Mentaltrainern, intergalaktischem Schlägermaterial und Hochgeschwindigkeits-Präzisionskugeln kaum Besseres zuwege bringen als dunnemals Harold Hilton. Der Engländer gewann vor 121 Jahren Muirfields Open-Debüt. Es war gleichzeitig die erste Auflage eines Championats über 72 Loch, von Old Tom Morris höchstpersönlich angelegt, und Amateur Hilton ging mit Hickory-Schlägern und Guttapercha-Ball zu Werke. Sein Score damals: 78, 81, 72, 74. Nach zwei Runden hätte er heute knapp hinter Sir Nick Faldo (+15) oderLuke Guthrie (+16) den Cut verpasst. Nimmt man die Schluss-Durchgänge, wäre Hilton runden- und schlaggleich mit Martin Kaymer (+4) als geteilter 34. ins Wochenende gegangen. Großartig.
„Das war heute zu viel Platz für mich!“
Wenigstens jammern die Herren Profis nicht mehr, wie noch nach der ersten Runde. Vermutlich hat Muirfield, das schöne Biest, ihnen den Nerv gezogen. Phil Mickelson („Das war heute zu viel Platz für mich“) entschuldigte sich sogar für seine Kritik am Set-up. Auch Brandt Snedeker wollte sich „nicht beschweren“: „Der Platz ist nicht unspielbar, denn es gibt ja Burschen, die ihn überlebt haben.“
„Warum soll ich um Zehn ins Bett gehen?“
Miguel Ángel Jiménez zuvorderst, den sie wegen seiner stoischen Spielweise, aber auch wegen seiner Vorliebe für‘s Basteln an den eigenen Ferrari, „The Mechanic“ nennen. Der Spanier drehte eine unbeirrte Par-Runde mit zwei Birdies und zwei Bogeys und führt nach seiner Drei-unter-68 vom Auftakt das Feld an. Während nun alle Welt spekuliert, ob der 49-Jährige am Sonntag der älteste Gewinner eines Majors wird, ist Jiménez selbst erwartungsgemäß tiefenentspannt.
„Ich gehe morgen als Letzter auf die Runde, warum soll ich dann heute um Zehn ins Bett kriechen“, grinste der Mann mit dem gezopften Minipli, der sich fürs Golfen warm macht wie kein anderer und ausserhalb des Platzes das Haar offen trägt. „Gleich gibt‘s Dinner mit meiner Freundin und meinen Söhnen – so wie jeden Abend. Und danach erstmal eine schöne Zigarre. Morgen ist ein neuer Tag!“
Phil Mickelson freut sich richtig drauf: „Alle Spieler, die sich vorne in Sachen Titelgewinn was ausrechnen, sind am Samstag zur gleichen Zeit auf dem Platz, laufen direkt hintereinander und damit unter gleichen Bedingungen auf der Backnine ein. Da machen wir uns dann alle zusammen eine schöne Zeit!“
Übrigens: Die anderen „alten Fürze“ von gestern haben den Freitag auch überlebt. Mark O‘Meara und Tom Lehman mussten mit +7 bzw. +6 allerdings ordentlich Federn lassen, Todd Hamilton kassierte gar eine Zehn-über-81.
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