Der Claret Jug ist das Symbol für die Open Championship, das älteste Major der Golfwelt …
Fast alles richtig gemacht, Phil Mickelson. Fast! Als der US-Golfprofessional Anfang dieser Woche zur 143. Open Championship im Royal Liverpool Golf Club eincheckte, da hatte er selbstredend auch den silbernen Weinkrug im Gepäck, mit dem er 2013 in Muirfield zum „Champion Golfer of the Year“ gekürt worden war.
Ein Jahr lang durfte Mickelson den Claret Jug zuhause in die Vitrine stellen und bewundern. Mehr noch: Der Linkshänder hat die Kanne sogar benutzt. Rotwein hätten sie daheim in San Diego daraus getrunken, erzählte er, ein Freund habe eine ganze Flasche reingeschüttet. Im Claret Jug dekantiert, sollte das wohl heißen. Alles noch ok. Jetzt allerdings kommt der Fauxpas: Es sei ein Romanée-Conti von 1990 gewesen, berichtete Mickelson. Ein Roter aus dem Burgund mithin. Hoppla!
Stilsicher und perfekt wäre gewesen, aus dem Claret Jug einen Bordeaux zu kredenzen. Denn dafür sind dergleichen Kannen von jeher gedacht. Der Umstand, dass die Pulle 40.000 Dollar gekostet haben soll, macht‘s nicht wirklich besser.
Eine der berühmtesten Trophäen der Sportwelt
Die Story dahinter ist noch älter als Golf und flugs erzählt: Als Englands König Henry II. – der Vater von Richard Löwenherz, nebenbei bemerkt – am 18. Mai 1152 Eleonore von Aquitanien heiratete, gehörte zur Mitgift auch das gleichnamige Herzogtum samt seiner „Hauptstadt“ Bordeaux und sollte bis 1453 englisches Hoheitsgebiet bleiben.
In diesen 300 Jahren wurde von dort massenhaft roséfarbiger Wein importiert, für den Adel eine willkommene Alternative zu den schweren und dunklen Roten aus Portugal und Spanien. Der Clairet oder anglisiert Claret avancierte schließlich sogar zum Synonym für Bordeauxwein überhaupt. Und sein traditionelles Ausschankgefäß zu einer der berühmtesten Trophäen der Sportwelt.

Große Gewächse aus dem Bordeaux: Jahrhundertelang privilegierter Genuss für Englands feine Leute. © MiB
Zurück zum „Bacchanal“ im Hause Mickelson. Burgunder hin, Bordeaux her, der fünffache Majorsieger hat ganz offenbar eh nicht gewusst, welch rarer Tropfen da im Claret Jug schwappte. „I didn’t know what this was when I drank it“: Das erinnert ein bisschen ans Klischee vom amerikanischen Mangel an Lebensart und Kultur.
Symbolkraft im Sockel
Wahrscheinlich hat sich Mickelson auch noch bei der Flasche Wein übers Ohr hauen lassen. Der 1990er-Romanée-Conti Grand Cru ist zwar ein erlesenes und exklusives Gewächs, die Standardflasche wird trotzdem „nur“ mit 23.000 Dollar (17.000 Euro gehandelt. Für 40.000 Dollar hätte es eine 1,5-Liter-Magnum-Pulle sein müssen. Doch die passt gar nicht in den bloß gut 30 Zentimeter hohen Claret Jug. Wenigstens war sich Mickelson darüber im klaren, dass nur „good stuff“ in die Trophäe gehört und „wir den Claret Jug mit der Wertschätzung und dem Respekt behandeln müssen, die er verdient.“
Wie wahr! Die reich ziselierte Karaffe mit dem Golfer auf dem Bauch ist nämlich eine Ikone. Massives Sterling-Silber, alles in Allem 51,2 Zentimeter hoch und 2,45 Kilogramm schwer. Der eigentliche Wert freilich liegt im mittlerweile überproportional gewichtigen, dreistöckigen Sockel. Es ist die Symbolkraft der dort eingravierten 142 Siegernamen, der Großen und Ganzgroßen ebenso wie der Außenseiter, die dem Claret Jug seinen Nimbus verleiht. Ein Pantheon des Golfsports gewissermaßen.
Embed from Getty Images
Alle Jahre wieder sitzt der Graveur des Open-Veranstalters Royal & Ancient of St. Andrews irgendwo hinter dem 18 Grün des jeweiligen Open-Schauplatzes, vor sich sein Feinwerkzeug sowie eine leere Fläche auf dem silbernen Sockelband, und wartet auf das Turnierende und den Namen des neuen Open-Siegers. Das gehört zum Open-Kult, erst recht, seit in modernen TV-Zeiten die Kameras der BBC spinksen dürfen.
Zuerst ging es zehn Jahre lang um einen Gürtel
Bei alldem ist „The Golf Champion Trophy“, wie der R&A sein „Kännchen“ offiziell genannt haben will, nicht ganz so alt wie das Turnier, dessen Symbol sie wurde. Ganz zu Beginn, 1860, als sich acht Golfprofessionals (Bild) in Prestwick einfanden, um den besten Golfer des Landes auszuspielen, ging es vielmehr um einen Gürtel, den „Challenge Belt“. Die Assoziation zum Boxen liegt nahe und ist durchaus berechtigt.
Embed from Getty Images
Golfturniere gab‘s dunnemals noch gar nicht, aktive Teilnahme an Wettbewerben war kaum was für feine Leute, es sei denn, ein Ehrenhändel stand an. Man hatte seinen Profi, der einem die Ausrüstung fertigte, Unterricht erteilte, als Platzwart mühewaltete, auch schon mal ein Golfplatz-Layout in die Landschaft legte und ansonsten auf den Links die Schläger trug. Bei Schaukämpfen, Pardon, Schaumatches, wurden die Recken mit hohen Wetteinsätzen aufeinander los gelassen. Die frühen Professionals waren eine raue Gilde, Ex- oder Teilzeit-Handwerker, samt und sonders keine Feingeister, stattdessen trinkfest und in jedwedem Sinn schlagfertig. Rabauken.
Tom Morris Jr. schafft den „Hattrick“
Strippenzieher in Prestwick war Oberst James Ogilvy Fairlie, überhaupt ein bedeutender Mann für die Entwicklung des Golfsports; als Schirmherr des Turniers fungierte der Earl of Eglinton, den man heute einen großen Sportmäzen nennen würde. Der Chef des Clans Montgomery veranstaltete Pferderennen und Bogenschützen-Wettbewerbe und hatte auch die Idee mit dem Gürtel. Gesagt, getan, für 15 Pfund – damals das anderthalbfache eines Arbeiter-Jahresgehalts – ließ der Prestwick Golf Club den „Challenge Belt“ anfertigen. Aus rotem Saffian- oder Maroquin-Leder und mit schwerer, verzierter Silberschnalle stand die Insignie den monströsen „Bauchbinden“ kaum nach, die von den Klitschkos so gern in die Höhe gereckt werden.
Der Gürtel war eine Wandertrophäe. Getreu der Devise „Wiedersehen macht Freude“ musste der jeweilige Sieger ein Pfand von 25 Pfund zahlen, um nach eigenem Gutdünken für ein Jahr damit angeben zu dürfen. Andererseits sollte das gute Stück dem endgültig gehören, der die Open drei Mal in Folge gewinnt. Im Original der Turnier-Ausschreibung lautete das so:
„The party winning the belt shall always leave the belt with the treasurer of the club until he produces a guarantee to the satisfaction of the above committee that the belt shall be safely kept and laid on the table at the next meeting to compete for it until it becomes the property of the winner by being won three times in succession.“
Schon 1870, bei der insgesamt elften Open, machte Tom Morris Jr. den Hattrick perfekt. Im Alter von 19 Jahren nahm der als unschlagbar geltende Sprößling des legendären Old Tom Morris den Gürtel unwiederbringlich mit nach Hause. Die Open Championship hatte keine Trophäe mehr.

Tom Morris Jr. mit dem „Challenge Belt“: 1870 gehörte der Gürtel endgültig dem Open-Seriensieger. © MiB
Da passte es gut, dass Prestwick im April 1871 mit St. Andrews und der Honourable Company of Edinburgh Golfers in Musselburgh im Gespräch war. Denn in Ayrshire an der schottischen Westküste mochte man das Turnier und die Kosten für einen neuen Ehrenpreis nicht mehr allein stemmen. Die Verhandlungen zogen sich gleichwohl derart lange hin, dass die 1871er-Open schlichtweg ausfiel.
Der Beginn der Open-Rota
Im Jahr drauf sprang Prestwick (Bild) noch mal in die Bresche. Wieder gewann der Wundergolfer Tom Morris Jr. Für den bis heute unerreichten vierten Sieg hintereinander erhielt der Schotte lediglich eine Goldmedaille. Drei Jahre später starb er im Alter von 24 Jahren unter tragischen Umständen einen frühen Tod. Aber das ist eine andere Geschichte in der an miteinander verwobenen Geschichten so reichen Golf-Historie.
Embed from Getty Images
Am 11. September 1872 schließlich einigten sich die drei Clubs darauf, gemeinsame Open-Sache zu machen und das Turnier alternierend auszutragen. Das war übrigens die Geburtsstunde der Open-Rota, die derzeit insgesamt neun Plätze umfasst. Musselburgh und Prestwick indes sind seit 1889 bzw. seit 1925 nicht mehr dabei, dafür übernahm der Royal & Ancient 1920 die alleinige Verantwortung für die Open.
Ein Weinkrug als neue „Golf Champion Trophy“
Außerdem schmissen die Parteien bei ihrer konstituierenden Sitzung jeweils zehn Pfund für eine neue Trophäe in den Hut. Bloß, ein Gürtel sollte es nicht mehr sein, das war mittlerweile denn doch zu proletarisch. Die Open war das bedeutendste Turnier des Landes, Herren von Stand mischten sich als Amateure unter die borstigen Profis, längst gab es auch Preisgeld für Sieger und Platzierte, man schielte auf den gehobenen Lebensstil: Die neue „Golf Champion Trophy“ sollte deshalb ein Weinkrug sein. Bei Mackay Cunningham & Company in Edinburgh machten sich die Silberschmiede ans Werk.
Der Claret Jug war pünktlich zur Premiere der neuen Rota 1873 in St. Andrews fertig. Tom Kidd hielt ihn als erster Sieger in Händen. Doch der erste Name, der auf den Sockel graviert wurde, war Tom Morris Jr.
54 Jahre und 49 weitere Champions später – die Open ruhte während des Ersten Weltkriegs – hatte das Rumgereiche ein Ende. Etliche Mehrfachsieger, allen voran Harry Vardon mit bislang einmaligen sechs Erfolgen, und insgesamt 28 unterschiedliche Namen waren auf dem Sockel verewigt, als die Granden vom R&A den Claret Jug in ihrem Clubhaus deponierten. Dort steht er in einer Vitrine neben dem „Challenge Belt“, den die Familie Morris schon 1908 zur Verfügung gestellt hatte.
„Für den Claret Jug würde ich meinen linken Arm geben“
Bobby Jones, der drei Jahre später alle vier Majors in einem Jahr und damit den Grand Slam gewinnen sollte, hielt 1927 in St. Andrews das Original als letzter Open-Sieger in seinen Händen. Im Jahr drauf wurde sein US-Landsmann Walter Hagen im Royal St. Georges Golf Club erstmals mit der 40 Pfund teuren Replika ausgezeichnet, die noch heute im Umlauf ist. Phil Mickelson hat sie zum Auftakt der Open-Woche im Liverpooler Vorort Hoylake vorschriftsmäßig und im Tausch für eine kleinere, persönliche Kopie bei R&A-Chef Peter Dawson abgeliefert (Bild): Auf das nun der 143. Gewinner des ältesten Majors der Welt traditionell am dritten Sonntag im Juli damit belehnt werde.
Embed from Getty Images
„Ich würde meinen linken Arm für den Claret Jug geben“, hat der Nordire Graeme McDowell dieser Tage über das Objekt der golferischen Begierde gesagt. „Es wäre zwar das Ende meiner Karriere, doch die Open Championship wär‘s mir wert.“ Er hat natürlich gescherzt, die Botschaft hingegen ist unmissverständlich.